Die Großbotschaften Damian Hugo von Virmonts und Ibrahim Paschas (1719/20)
Einleitung – Quellen

Arno Strohmeyer, Yasir Yılmaz

Die Großbotschaften von Damian Hugo von Virmont und Ibrahim Pascha (1719/20) sind das erste QhoD-Projekt und werden von den Mitarbeiter:innen des QhoD-Teams bearbeitet. Die beiden Missionen sind in vielen verschiedenen Quellen habsburgischer wie osmanischer Herkunft umfassend dokumentiert. Basierend auf den Editionsregeln von QhoD werden die Quellen mit Hilfe von fünf Erschließungsstufen historisch-kritisch unterschiedlich tief erschlossen. Ausschlaggebend sind die Bedeutung, Aussagekraft, Zugänglichkeit und der Erhaltungszustand der Quelle.

1. Einleitung

Großbotschaften waren zeitliche befristete diplomatische Missionen auf höchster Ebene, zu denen sich Habsburger und Osmanen meist wechselseitig und im Kontext von Friedensverhandlungen verpflichteten. Es handelt sich um kein spezifisches Merkmal der habsburgisch-osmanischen Beziehungen, denn auch andere Mächte, etwa Schweden, Venedig und Polen-Litauen, fertigten nach Konstantinopel Großbotschaften ab oder spielten zumindest mit dem Gedanken, dies zu tun. Ebenso gab es Großbotschaften in der habsburgisch-französischen und habsburgisch-polnischen Diplomatie.[1] In den bilateralen Beziehungen zwischen dem Kaiser und dem Sultan etablierte sich diese Form der diplomatischen Kommunikation nach dem Frieden von Zstivatorok im frühen 17. Jahrhundert.[2] Zu den Hauptaufgaben der Großbotschafter zählten die Überbringung zu ratifizierender oder bereits ratifizierter Abkommen, die Beilegung kleinerer Konflikte, Verhandlungen über Grenzverletzungen und die Freilassung von Gefangenen, die Klärung umstrittener Vertragsartikel und – besonders wichtig – die Übergabe von Geschenken.[3] Während sie bei der Aushandlung von Friedensverträgen und Waffenstillstandsabkommen in der Regel nur eine Nebenrolle spielten, erfüllten sie bei der symbolischen Inszenierung des Friedens, deren zeitgenössische Bedeutung in der internationalen Politik grundsätzlich schwerlich überschätzt werden kann, Schlüsselfunktionen.[4] Aus diesem Grund handelte es sich um ein zentrales Instrument im Konfliktmanagement zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich.[5]

Die Friedenssicherung zwischen beiden Mächten war für alle Beteiligten eine große Herausforderung. Die Forschung hat zwar in den letzten Jahren aufgezeigt, dass es falsch wäre, von einem unausweichlichen Aufeinanderprallen zweier klar abgrenzbarer kultureller Blöcke zu sprechen, gab es doch hybride Räume und transkulturelle Übergangszonen sowie vielfältige Kultur- und Wissenstransfers. Zu erinnern ist auch an die zahlreichen Friedensverträge und Waffenstillstandsabkommen.[6] Das ändert jedoch nichts an einer fundamentalen Gegensätzlichkeit zwischen Habsburgern und Osmanen, die auch die Diplomatie prägte und umfassender war als etwa die Rivalität zwischen der Habsburgermonarchie und Frankreich.[7] Neben Gegensätzen zwischen Christentum und Islam, die nicht über-, aber aufgrund der für das Zeitalter charakteristischen Verflechtung von Religion und Politik auch nicht unterbewertet werden dürfen und in den zeitgenössischen Wahrnehmungen, wie die Quellen belegen, eine enorm große Rolle spielten, gab es tiefgreifende ideologische, machtpolitische und imperiale Gegensätze der Herrscherdynastien, die in alle Lebensbereiche wirkten. Im Friedensprozess überwunden werden mussten zudem identitätsstiftende Alteritätskonstruktionen, negative Stereotype und Feindbilder, die, propagandistisch verbreitet, im kollektiven Gedächtnis weiter Teile der Bevölkerung fest verankert waren. Unmittelbare Erfahrungen mit oder Erzählungen über die außerordentliche Grausamkeit der Türkenkriege schienen sie zu bestätigen. Charakteristisch war ferner die auf beiden Seiten anzutreffende Überzeugung zivilisatorischer Überlegenheit. Alles in allem waren die Großbotschafter Vermittler zwischen zwei rivalisierenden Herrschaftsräumen mit sehr unterschiedlichen kulturellen Prägungen.

In den habsburgisch-osmanischen Beziehungen sind derzeit sieben wechselseitige Großbotschaften belegt. Unter diesen zählen die Missionen Damian Hugo von Virmonts und Ibrahim Paschas zu den bedeutendsten, fanden sie doch in einer Zeit statt, in der das machtpolitische Verhältnis zwischen beiden Mächten neu definiert wurde, sich die jahrhundertelange Erbfeindschaft aufzulösen begann und das internationale System umgestaltete. Zugleich handelte es sich um die bis dahin größten und aufwändigsten Missionen, umfasste das Gefolge der beiden Diplomaten doch jeweils mehr als 500 Personen. Hervorzuheben sind ferner die prunkvolle Inszenierung, die zahlreichen Geschenke und die große öffentliche Aufmerksamkeit, belegt durch die umfangreiche mediale Überlieferung.

Die beiden Gesandtschaften waren 1718 im Frieden von Passarowitz (serbisch Požarevac) beschlossen worden, der den Sechsten Österreichischen bzw. Venezianisch-Österreichischen Türkenkrieg (1714–1718) und eine Phase schwerer militärischer Niederlagen der Osmanen zum Abschluss brachte, die 1683 mit der Zweiten Türkenbelagerung Wiens begonnen hatte.[8] Die veränderte machtpolitische Lage brachte der Habsburgermonarchie mit dem Banat von Temesvár, der Kleinen Walachei, Nordserbien und einem Grenzstreifen im nördlichen Bosnien umfangreiche Gebietsgewinne, die zu ihrer größten geographischen Ausdehnung führten. In Artikel 17 verpflichteten sich Kaiser Karl VI. und Sultan Ahmed III. zur Entsendung einer Großbotschaft nach Konstantinopel bzw. Wien. Auf habsburgischer Seite wurde Graf Damian Hugo von Virmont (1666–1722) mit der Leitung der Mission betraut, ein niederrheinischer Adeliger, der in den Türkenkriegen in der kaiserlichen Armee Karriere gemacht hatte und 1706 zum Reichsgrafen aufgestiegen war. Anschließend hatte er sich im diplomatischen Dienst bewährt, der in u.a. an den Hof des Königs von Schweden Karl XII. in Stralsund und des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. in Berlin geführt hatte, um die Interessen des Kaisers im Großen Nordischen Krieg zu vertreten. 1717 bestellte ihn Prinz Eugen als einen von drei kaiserlichen Bevollmächtigten zu den Friedensverhandlungen in Passarowitz, einem kleinen serbischen Dorf südostlich von Belgrad.

Lange Zeit war über den Vertreter des Sultans, Dayezade Ibrahim Pascha, nur wenig bekannt. Vor kurzem hat jedoch Hüseyin Onur Ercan eine kurze biografische Skizze des Paschas vorgelegt. Demnach war Ibrahim ursprünglich Georgier und im Enderun (Innenhof des Palastes) ausgebildet worden, wo er zunächst als çuhadar (Wächter der äußeren Kleidung des Sultans) und ab 1699 als silahdar (Schwertmeister) unter Mustafa II. (1695–1703) gedient hatte. Ein persönlicher Streit zwischen Ibrahim und dem einflussreichen Großmufti jener Zeit, Feyzullah Efendi, führte 1701 zu seiner vorzeitigen Pensionierung. 1707 wurde er wieder in Dienst gestellt. In den folgenden Jahren war er als Provinzgouverneur tätig. In den Jahren 1712 und 1714 wurde er zweimal zum nişancı (Kanzler) ernannt und war an den Grenzverhandlungen zwischen Russland und dem Osmanischen Reich beteiligt. Nach einer weiteren kurzen Amtszeit als silahdar trat er 1716 zum zweiten Mal in den Ruhestand. Seine angeblichen Fremdsprachenkenntnisse und Erfahrungen in internationalen Verhandlungen erregten jedoch die Aufmerksamkeit seines Namensvetters, des Großwesirs Ibrahim Pascha, der 1718 sein Amt antrat und den pensionierten Ibrahim Pascha zum zweiten Bevollmächtigten bei den Friedensverhandlungen von Passarowitz ernannte. Ein Jahr später, 1719, wurde Ibrahim der Ehrenrang des Gouverneurs von Rumelien verliehen und er als Großbotschafter nach Wien entsandt.[9]

Zu den wichtigsten Stationen der beiden Missionen zählten der feierliche Auszug der beiden Großbotschafter mit ihrem Gefolge aus Wien (kurz nach dem 26. April) bzw. Konstantinopel (23. März 1719) und der Grenzwechsel mit dem Austausch der beiden Diplomaten am 15. Juni des Jahres auf einer Wiese bei Paraćin, einem kleinen Ort in der Nähe von Passarowitz. Der Ablauf war penibel geplant und folgte einem Zeremoniell, das sich im frühen 17. Jahrhundert entwickelt hatte. Mithilfe einer ritualisierten, bis ins kleinste Detail inszenierten Symmetrie brachten die beiden Großbotschafter Frieden, Parität und (politische) Freundschaft zum Ausdruck. Kleinste Zeremonialverstöße, die diese Symmetrie störten, fanden große Aufmerksamkeit.[10] In der Tat, in ihren Berichten über die Zeremonie behaupteten beide Parteien, in diesem symbolischen Wettbewerb als Sieger hervorgegangen zu sein (osmanische Version; habsburgische Version). Weitere wichtige Stationen waren die feierlichen Einzüge bei der Ankunft in Wien (14. August) und Konstantinopel (3. August), die auch insofern von Bedeutung waren, als sie vor einer relativ großen Öffentlichkeit erfolgten, darunter diplomatische Vertreter anderer Mächte, sowie die Antrittsaudienzen bei den jeweiligen Herrschern und hohen Würdenträgern mit der Übergabe von Geschenken. Das Geschenkwesen war ebenfalls symbolisch aufgeladen, denn es stellte zwischen Schenkenden und Beschenkten Beziehungen her und besaß somit im Friedensprozess einen außerordentlich großen Stellenwert. Dabei sind Unterschiede in seiner Bedeutung zu berücksichtigen, denn die Gesellschaft des Osmanischen Reichs war anders aufgebaut und wies eine höhere soziale Mobilität auf als die europäische Ständeordnung. Soziale Hierarchien, Asymmetrien und Differenzierungen bedurften bei den Osmanen noch stärker der symbolisch-expressiven Darstellung.[11]

Deutlich schlechter dokumentiert sind die Abschiedsaudienzen der beiden Großbotschafter, ihre Rückreisen und der Grenzwechsel, der am 16. Juni 1720 stattfand, also fast exakt ein Jahr nach dem Grenzübertritt bei der Hinreise. Insgesamt befanden sich die beiden Diplomaten somit rund neun Monate in Wien bzw. Konstantinopel. Ihre Tätigkeiten vor Ort bewegten sich innerhalb des für derartige Missionen üblichen Spektrums. Im Mittelpunkt standen demnach die Repräsentation des Auftraggebers, die Beschaffung von Informationen über das Gastland, Verhandlungen mit Würdenträgern und einflussreichen Personen, etwa über die Freilassung von Gefangenen, die Teilnahme an Festen, Begegnungen mit Diplomaten anderer Herrscher sowie persönliche Belustigungen wie die Besichtigung von Sehenswürdigkeiten und die Jagd.

2. Zu den Quellen

Die Quellen gewähren einen tiefen Einblick in die habsburgisch-osmanische Diplomatie dieser Zeit und damit in grundlegende Probleme von Transkulturalität, Kultur- und Wissenstransfer, Konstruktionen von Fremdheit und deren Überwindung, das Verhältnis zwischen Christentum und Islam, das Konfliktmanagement zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich sowie in Probleme der Friedenssicherung.

2.1 Habsburgische Überlieferung

Auf habsburgischer Seite sind vor allem die Korrespondenzen Virmonts mit dem Kaiserhof zu erwähnen, die den Verlauf der Mission vom Auszug aus Wien bis zur Rückkehr des Gesandten dokumentieren. Sie enthalten viele, teilweise sehr detaillierte Informationen über die Tätigkeit des Großbotschafters vor Ort, aber auch über diplomatische Praktiken und den Alltag in Konstantinopel und sogar über die klimatischen Verhältnisse. Ergänzend sind Nebenkorrespondenzen, Instruktionen, Protokolle und Berichte von Akteuren aus dem Umfeld Virmonts überliefert, darunter die handschriftlichen Relationen von Otto Friedrich von Öbschelwitz und Johann Joseph Graf von Oduyer.

Otto Friedrich von Öbschelwitz war ein als Kartograph tätiger Ingenieur und Kriegsbaumeister, der in Belgrad zur Mission stieß, an der Vorbereitung des Grenzwechsels beteiligt war und in Konstantinopel an diplomatischen Handlungen teilnahm. Sein Bericht (hier ediert) enthält, chronologisch geordnet, u.a. Angaben zu Marschzeiten, Festungsanlagen, Straßen, Brücken und Landschaften, gibt aber auch militärisch-taktische Überlegungen des Autors wieder, die auf Anweisungen von Prinz Eugen vorbereitet wurden.[12] Öbschelwitz trat auch als Verfasser einer Karte in Erscheinung, die den Verlauf der Reiseroute genau visualisiert. Johann Joseph Anton Graf von Oduyer, ein gebürtiger Ire, hatte sich in den Türkenkriegen und im Spanischen Erbfolgekrieg in der kaiserlichen Armee hochgedient, in der er 1716 den Rang eines Generalfeldwachtmeisters bekleidete. Im folgenden Jahr wurde er zunächst provisorisch und 1718 definitiv zum Kommandeur von Belgrad und Nordserbiens ernannt. Eines seiner zahlreichen Tätigkeitsfelder war die Organisation des Grenzwechsels der beiden Großbotschafter, in dem er persönlich wichtige Funktionen ausübte und der auch im Mittelpunkt seiner Relation steht.[13]

Unter den gedruckten Quellen ragt der umfangreiche Reisebericht von Gerard Cornelius von den Driesch heraus, ein in Köln geborener Rat, ehemaliges Mitglied des Jesuitenordens, der die Mission als Sekretär Virmonts begleitete. Der Reisebericht erschien 1721 in lateinischer Sprache sowie 1722 und 1723 in deutscher Übersetzung (letztere edieren wir hier). Er schildert äußerst genau – die kleinformatige lateinische Ausgabe umfasst mehr als 1.000 Seiten, die beiden deutschen Übersetzungen sind rund 500 Seiten lang – den Ablauf der Mission vom Auszug aus Wien bis zur Rückkehr an den Kaiserhof aus der Perspektive eines Teilnehmers.[14] Einen detaillierten Bericht des Einzugs Ibrahim Paschas in Wien veröffentlichte 1719 der Drucker und Verleger Johann Baptist Schönwetter.[15] Die beiden Großbotschaften sind ferner in etlichen Flugblättern und Flugschriften dokumentiert, von denen einige sogar in mehreren Sprachen publiziert wurden. Zeitungen wie das Wienerische Diarium nahmen sich der beiden Großbotschaften an und widmeten bedeutenden Ereignissen wie dem Grenzwechsel Sonderbeilagen.[16] Selbst „Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexicon“ erwähnt den Grenzwechsel.[17] Von besonderer Bedeutung ist ferner eine von Johann Conrad Weiss erstellte Sammlung sehr kunstvoll gestalteter Reportagebilder, die den Grenzwechsel der beiden Großbotschafter mit ihrem Gefolge darstellt.[18]

2.2 Osmanische Überlieferung

Auf osmanischer Seite gibt es signifikant weniger Quellen zu den beiden Großbotschaften, ein Ungleichgewicht, das hauptsächlich auf Unterschiede in der politischen Kultur, der Herangehensweisen an schriftliche Aufzeichnungen und die allgemeine Asymmetrie in den diplomatischen Beziehungen zurückzuführen ist. Letztere war hauptsächlich auf das Fehlen eines ständigen osmanischen Botschafters in Wien bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zurückzuführen. Die Osmanen wurden in Wien nicht von einem dauerhaft stationierten Diplomaten repräsentiert. Verglichen mit den oft begrenzt erhaltenen Aufzeichnungen aus osmanischer Perspektive in anderen Großbotschaften sind die Großbotschaften von 1719–1720 ungewöhnlich gut dokumentiert. Dies gilt insbesondere für den Grenzübertritt und die Zeremonien, an denen der österreichische Großbotschafter Virmont in Konstantinopel teilnahm. Das QhoD-Team hat eine breite Palette von Quellen bearbeitet, die den Botschaftsaustausch aus osmanischer Sicht dokumentieren.

Die bedeutendste osmanische Quelle ist ein Reisebericht, der die Reise der osmanischen Großbotschaft nach Wien und ihren Aufenthalt dort umreißt, verfasst im Jahr 1726, fünf Jahre nach dem Tod von Ibrahim Pascha. Die bisherige Forschung schrieb die Autorenschaft einer unbekannten Person im Gefolge von Ibrahim Efendi zu. Der österreichische Orientalist Friedrich von Kraelitz-Greifenhorst, der eine kommentierte Übersetzung des Textes ins Deutsche veröffentlichte, glaubte, dass der Autor aufgrund der einfachen Sprache („fast vulgär, mit einer oft naiven Ausdrucksweise“) von bescheidenem Ursprung war, wahrscheinlich sogar ein niederrangiger Janitscharen-Offizier.[19] Der Autor war jedoch höchstwahrscheinlich Nahifi Süleyman Efendi (gest. 1738), ein osmanischer Dichter, der für seine poetische Übersetzung von Rumis Mesnevi ins Türkische bekannt war. Nahifi, der bereits Erfahrung als Schreiber hatte, reiste wahrscheinlich als Legationssekretär (Divan Katibi) nach Wien. Seine Autorschaft ist für Kenner der osmanischen Literatur keine neue Entdeckung, da der Text als Teil von Nahifis Werk veröffentlicht wurde.[20]Diese Publikation wurde jedoch von Historikern bisher völlig übersehen. Ob ein eloquenter Dichter einen Text in so einfacher Sprache verfasst haben könnte, bleibt eine offene Frage. Dennoch können wir annehmen, dass entweder er den Reisebericht selbst verfasst hat oder die Person, die es getan hat, überwacht hat.

Der Reisebericht ist besonders bemerkenswert, da er einer der ersten ist, der eine solche Mission aus osmanischer Sicht in dieser Länge und Detailtiefe dokumentiert. Er ist wesentlich kürzer als der Bericht von Gerhard Cornelius van den Driesch und enthält nur grobe Informationen über die offiziellen Zeremonien, an denen die osmanische Delegation während der Reise und in Wien teilnahm. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Austausch der Botschafter. Die Audienzen bei Prinz Eugen und Karl VI. werden hingegen nur sehr knapp zusammengefasst. Die Beschreibung von Wien ist ebenfalls oberflächlich. Dennoch sollte der Kontext berücksichtigt werden, in dem dieser Reisebericht verfasst wurde. Der Großbotschafter Ibrahim Pascha wurde vom Großwesir Ibrahim Pascha ausgewählt, dessen Bemühungen, Erfolge und Misserfolge auf nationaler und internationaler Ebene in der osmanischen Geschichte bis heute stark umstritten sind.[21] An dieser Stelle genügt es zu betonen, dass der Großwesir bei der Ernennung des pensionierten Ibrahim Pascha zum Großbotschafter auch ähnliche Botschaftsmissionen nach Paris und Isfahan initiierte. Alle drei Botschaften lieferten diplomatische Reiseberichte, die in Bezug auf Länge, Tiefe und Analyse alle bisherigen Beispiele dieses Genres in der osmanischen Geschichte übertrafen. Diese Umstände verleihen dem hier bearbeiteten Wiener Reisebericht eine besondere Bedeutung.

Bei dem Botschaftsaustausch wurde die osmanische Delegation von Muhsinzade Abdullah Pascha angeführt, der im Jahr 1737 kurzzeitig das Amt des Großwesirs übernehmen sollte. Die österreichischen Quellen von 1719–1720 bezeichneten ihn als Seraskier oder Kommandanten. Nach einer langen Karriere in kritischen Positionen erhielt er den Rang des Gouverneurs von Rumelien und wurde Anfang 1718 nach Niš entsandt, um die Festung zu reparieren. In den Tagen vor dem Botschaftsaustausch im Juli 1719 befand er sich nicht in Niš. Wie aus einem im Register des Kaiserlichen Rats (mühimme defterleri) verzeichneten Befehl hervorgeht, den wir in unserem Projekt bearbeitet haben, erachtete das osmanische Zentrum den damals in Niš stationierten Pascha als „nicht über die erforderlichen Fähigkeiten, die der Ehre und Würde des Erhabenen Staates angemessen waren“, und daher erhielt Abdullah Pascha, der als ausreichend geschickt angesehen wurde, das Osmanische Reich während des Botschaftsaustauschs an der Grenze zu vertreten, strenge Anweisungen, nach Niš zu ziehen und als Leiter der osmanischen Delegation zu agieren. In dieser Funktion überwachte er die Korrespondenz mit Graf Oduyer über seinen Agenten namens Recep Agha hinsichtlich der Vorbereitungen für den Grenzaustausch, reiste mit Ibrahim Pascha an die Grenze und begleitete schließlich Virmont zurück nach Niš, wo er auch eine offizielle Audienz für den österreichischen Großbotschafter abhielt. Virmont berichtete ausführlich über seinen Austausch mit Abdullah Pascha nach Wien.

Die osmanische Briefkorrespondenz zwischen führenden Staatsmännern in Wien und Konstantinopel (Sultan, Kaiser, Großwesir und Präsident des österreichischen Kriegsrats) ist nur in Kopien erhalten, bietet jedoch Einblicke in die Entwicklung der bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Mächten im frühen 18. Jahrhundert. Die Briefe dokumentieren recht gut den gegenseitigen Wunsch nach Frieden und Freundschaft auf beiden Seiten. Unter ihnen ist der bemerkenswerteste der Brief, den Großwesir Ibrahim Pascha an Prinz Eugen adressierte. Die bedeutenden Siege von Eugen hatten ihn vermutlich bei den Osmanen sehr unbeliebt gemacht, weshalb sie vermieden, ihn persönlich anzusprechen, bis 1719. Von den Driesch berichtete in seinem Reisebericht, dass es intensive Diskussionen über diese Angelegenheit in Wien vor der Abreise der österreichischen Delegation gab. Als sich die Delegationen für den Grenzaustausch trafen, gehörte es zu den Aufgaben von Virmont, herauszufinden, ob der osmanische Großbotschafter einen separaten Brief an Prinz Eugen mitführte. Driesch berichtete, dass Virmont dies drei Mal erfragte, um sicherzugehen, dass der Präsident des österreichischen Kriegsrats in einem eigenen Brief angesprochen wurde. Die Antwort war positiv. Obwohl eine Kopie dieses ersten Briefs nicht in den Habsburger und osmanischen Archiven erhalten geblieben ist, existiert ein zweiter Brief aus dem Jahr 1720, der an den Prinzen vom Großwesir adressiert war. Die elegante Sprache gibt dem Leser eine Vorstellung davon, wie der erste Brief möglicherweise formuliert war. Diese beiden Briefe müssen sicherlich die Erinnerung an die vorherige Gleichgültigkeit gegenüber dem Prinzen ausgelöscht haben.

Die osmanischen Protokollbücher enthalten Informationen über die Feierlichkeiten und Zeremonien, an denen Damian Hugo von Virmont während seines Aufenthalts in Konstantinopel teilnahm. Der Autor war ein Protokollregistrator namens Selman Efendi, über den unsere einzige Information ist, dass er diese Position zweimal innehatte, zunächst vom 15. Februar 1718 bis 1725 und ein zweites Mal nach 1738.[22] Das Protokollbuch gibt Einblick in diplomatische Praktiken, Virmonts Treffen mit osmanischen Würdenträgern, sein Netzwerk in der Erhabenen Pforte sowie den Verlauf der Ereignisse der Feierlichkeiten und Bankette zu seinen Ehren. Solche Protokollregister, die die Zeremonien und Treffen der Großbotschafter der Frühen Neuzeit im Osmanischen Reich dokumentieren, sind sehr selten. Warum und wie ein solches Register aus den Jahren 1719–1720 überliefert ist, ist schwer zu sagen, aber die Praxis könnte ein Teil der Reformideen von Großwesir Ibrahim Pascha gewesen sein. Unabhängig davon wird jeder Forscher, der die Protokollregister von Salman Efendi liest, schnell feststellen, dass bis zu diesem Zeitpunkt in den diplomatischen Begegnungen der beiden Staaten kein anderer Botschafter der Frühen Neuzeit des Habsburgerreichs so gut und großzügig behandelt wurde, eine Tatsache, die durch zahlreiche Quellen bestätigt wird: Der osmanische Großwesir in seinem Brief an den osmanischen Großbotschafter in Wien, der Reisebericht von Driesch und auch Prinz Eugen in einer Bewertung, die er zu den ersten beiden von Virmont nach Wien gesandten Briefen verfasst hat, datiert auf den 13. August und 6. September 1719.[23]

Am Ende seiner Zeit in der osmanischen Hauptstadt war Virmont ein glücklicher, erfolgreicher Diplomat. Während seines Abschiedsbesuchs beim Hauptkämmerer El-hac Mustafa Efendi sicherte er sich einen Platz in der Geschichte der osmanisch-habsburgischen Diplomatie als ein Großbotschafter, der in Konstantinopel tanzte, ein Moment, der von Salman Efendi beobachtet und aufgezeichnet wurde: „Am Ende der Aufführung tanzte ein kleines Mädchen unter den Sängern, der Botschafter, vom Moment mitgerissen, nahm eines der Tamburine in die Hand und schlug den Rhythmus, wie es sein sollte. Das kleine Mädchen tanzte eine Weile auf diese Weise mit dem Botschafter, woraufhin der Botschafter ihr aus seiner Freude heraus einen Goldmünze gab.“

Schließlich werden verschiedene Artefakte osmanischen Ursprungs bearbeitet. Diese umfassen speziell Geschenke des Sultans, die Ibrahim Pascha während seiner Mission nach Wien am kaiserlichen Hof überbrachte. Einige dieser Gegenstände haben bis heute überdauert und werden derzeit in verschiedenen Museen und Sammlungen aufbewahrt. Zu ihnen gehören Reitutensilien.

Arno Strohmeyer, Yasir Yılmaz


Fußnoten

[1] Vgl. Tetiana Grygorieva, Symbols and Perceptions of Diplomatic Ceremony: Ambassadors of the Polish-Lithuanian Commonwealth in Istanbul, in: Yvonne Kleinmann, Hg., Kommunikation durch symbolische Akte. Religiöse Heterogenität und politische Herrschaft in Polen-Litauen, Stuttgart 2010, 115–131; Ekkehard Eickhoff, Die Selbstbehauptung Venedigs gegen das Osmanische Reich: Strategien und Agenten, in: Arno Strohmeyer / Norbert Spannenberger, Hg., Frieden und Konfliktmanagement in interkulturellen Räumen: Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2013, 129–141, hier 130; Bertold Spuler, Die europäische Diplomatie in Konstantinopel bis zum Frieden von Belgrad (1739), 3. Teil: Listen der in Konstantinopel anwesenden Gesandten bis in die Mitte des 18. Jhdts., in: Jahrbücher für Kultur und Geschichte der Slaven 11 (1935), 313–366, hier 333.

[2] Vgl. Arno Strohmeyer, Der Friede von Zsitvatorok 1606 und die Friedensschlüsse der „Türkenkriege“, in: Irene Dingel / Michael Rohrschneider / Joachim Whaley u.a., Hg., Handbuch Frieden im Europa der Frühen Neuzeit / Handbook of Peace in Early Modern Europe, Oldenbourg 2021, 969–984.

[3] Vgl. Hedda Reindl-Kiel, Der Duft der Macht. Osmanen, islamische Tradition, muslimische Mächte und der Westen im Spiegel diplomatischer Geschenke, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 95 (2005), 195–258; dies., Ottoman-European Cultural Exchange. East is East and West is West, and Sometimes the Twain Did Meet Diplomatic Gift Exchange in the Ottoman Empire, in: Colin Imber / Keiko Kiyotaki / Rhoads Murphey, Hg., Frontiers of Ottoman Studies: State, Province, and the West, Bd. 2, London 2005, 113–123; Peter Burschel, Der Sultan und das Hündchen. Zur politischen Ökonomie des Schenkens in interkultureller Perspektive, in: Historische Anthropologie 15 (2007), 408–421.

[4] Vgl. Michael Rohrschneider, Das diplomatische Zeremoniell am osmanischen Hof als Gegenstand der Zeremonialwissenschaft des frühen 18. Jahrhunderts, in: Peter Geiss / Peter Arnold Heuser / Michael Rohrschneider, Hg., Christen und Muslime in Mittelalter und Frühneuzeit. Ein Schlüsselthema des Geschichtsunterrichts im transepochalen Fokus, Bonn 2022, 253–282; André Kriescher, Souveränität als sozialer Status: Zur Funktion des diplomatischen Zeremoniells in der Frühen Neuzeit, in: Ralph Kauz / Giorgo Rota / Jan Paul Niederkorn, Hg., Diplomatisches Zeremoniell in Europa und im mittleren Osten in der Frühen Neuzeit, Wien 2009, 1–31.

[5] Vgl. Arno Strohmeyer, Die Theatralität interkulturellen Friedens: Damian Hugo von Virmont als kaiserlicher Großbotschafter an der Hohen Pforte (1719/20), in: Guido Braun / Arno Strohmeyer, Hg., Frieden und Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit. Das Heilige Römische Reich und Europa, Münster 2013, 413–438.

[6] Vgl. Arno Strohmeyer / Norbert Spannenberger, Hg., Frieden und Konfliktmanagement in interkulturellen Räumen: Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2013.

[7] Pál Fodor. The Unbearable Weight of Empire. The Ottomans in Central Europe – a Failed Attempt at Universal Monarchy (1390–1566), Budapest 2016, 11–13.

[8] Zum Frieden von Passarowitz vgl. András Oross, Hg., Neuaufbau im Donauraum nach der Türkenzeit. Tagungsband der internationalen Konferenz anlässlich des 300-jährigen Jubiläums des Friedens von Passarowitz, Wien 2022; Charles Ingrao /, Nikola Samardžić / Jovan Pešalj, Hg., The Peace of Passarowitz, 1718, Purdue, West Lafayette 2011; Gültekin Yıldız, Hg., Harp ve Sulh: 300. Yılında Pasarofça Antlaşması Sempozyumu Bildirileri, Istanbul 2019; Hüseyin Onur Ercan, Pasarofça Antlaşması (1718) ve Diplomasi, Dissertation, Marmara Üniversitesi, Istanbul 2019).

[9] Vgl. ERCAN, Pasarofça Antlaşması (1718) ve Diplomasi, 35–36; August Heldmann, Art. „Virmont“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 55, Leipzig 1910, 332–341.

[10] Vgl. Arno Strohmeyer, The Symbolic Making of the Peace of Carlowitz. The Border Crossing of Count Wolfgang IV of Oettingen-Wallerstein during His Mission as Imperial Ambassador to the Sublime Porte (1699–1701), in: Colin Heywood / Ivan Parvev, Hg., The Treaties of Carlowitz (1699). Antecedents, Course and Consequences, Leiden, Boston, 2021, 213–235.

[11] Vgl. Strohmeyer, Theatralität, 413–438.

[12] Vgl. Simon Königer, Die Großbotschaft des Grafen Damian Hugo von Virmont 1719/20. Eine historisch-kritische Edition der Berichte von Otto Friedrich von Öbschelwitz und Johann Joseph Graf von Oduyer, Mastarbeit, Universität Salzburg, 2021, 44–46.

[13] Ebd., 58 f.

[14] Cornelius von den Driesch, Historia magnae legationis Caesareae, quam Caroli VI […] auspiciis post biennalis belli confectionem suscepit comes Damianus Hugo Virmondtius, Caesaris […] ad Portam orator, Wien 1721; ders., Historische Beschreibung Der letzten Gesandtschafft An den Türckischen Sultan: So Ihro Röm. Käyserl. und Königl. Cathol. Majestät Durch Herrn Damian Hugo, Grafen von Virmondt verrichten lassen […], Augsburg 1722; ders., Historische Nachricht von der Röm. Kayserl. Groß-Botschafft nach Constantinopel, welche auf allergnädigsten Befehl sr. Röm. Kayserlichen und Catholischen Majestät Carl des Sechsten / nach glücklich vollendeten zweyjährigen [!] Krieg, Der Hoch- und Wohlgebohrne des H. R. Reichs Graf Damian Hugo von Virmondt rühmlichst verrichtet […], Nürnberg 1723.

[15] Vgl. Johann Baptist Schönwetter, Ausführliche Beschreibung Des Prächtigst- und herzlichsten Empfangs / und Einbegleitung / Wie auch Einzugs, Welchen Der Türkische Groß-Botschafter […] Ibrahim Bassa, etc. […] in die Kaiserliche Residenz-Stadt / Wien / den 14. Augusti 1719. Gehalten, Wien 1719.

[16] Vgl. Wienerisches Diarium 1663 (8. bis 11. Juli 1719), unpag.

[17] Vgl. Art. „Passarowitzer Friede“, in: Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 26. Leipzig, Halle 1740, 1185.

[18] Johann Conrad Weiss, Accurater Abriß, von der Auswechslung Ihro Römischen Kayserl. Mayest. Gross. Bottschaffter, mit dem Gross-Bottschaffter der Ottomanischen Portte. So den 15. Juny 1719 zwischen Parachin und Raschna […] geschehen […], Belgrad 1720.

[19] F. von Krealitz-Greifenhorst, “Bericht Über Den Zug Des Grossbotschafters Nach Wien Im Jahre 1719,” Sitzungsberichte Der k.k. Akademie 3 (1907): 1–65. Siehe Seite 4 für das Zitat.

[20] Şaban Er, Nahifi Süleyman Efendi Külliyatı: Hayatı - Bütün Eserleri - Eserlerinden Seçmeler - Yazma Nüshalarından Tıpkıbasımlar - Sadeleştirmeler ve On Eserinin Tıpkıbasımı, Tercümesi, Sadeleştirilmesi [Nahifi Süleyman Efendi’s Works: His Life - Complete Works - Selected Works - Facsimiles from Manuscripts - Simplified Versions and Facsimile, Translation, and Simplification of Ten Works] (Kutup Yıldızı Yayınları, 2014); Mustafa İsmet Uzun, “Nahîfî,” in TDV İslâm Ansiklopedisi, accessed April 18, 2023, https://islamansiklopedisi.org.tr/nahifi.

[21] Vgl. etwa Fatma Müge Göçek, East Encounters West: France and the Ottoman Empire in the Eighteenth Century, Studies in Middle Eastern History, New York 1987; Can Erimtan, Ottomans Looking West? The Origins of the Tulip Age and Its Development in Modern Turkey, London 2008.

[22] Hayriye Büşra Uslu, III. Ahmed Devri Teşrifatı (A.D. 347: 1718–1725), MA-Arbeit, Mimar Sinan Güzel Sanatlar Üniversitesi, Istanbul 2017), 1.

[23] In Wien, nachdem Prinz Eugene Virmonts erste zwei Briefe gelesen hatte, bemerkte er in einer Analyse folgendes: “…die (Türken) Ihme eine besonderen Naigung und weit grosser Ehr als vorhin einmahlen ein Kayzerlicher Großbotschafter empfangen...” AT-OeStA/HHStA StAbt Türkei I 184-3, fol. 255r.